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Fotoapparate als Spielzeug

Es ist ziemlich sicher, dass man Fotoapparate zum Fotografieren benutzt. Wozu sonst?

Nun ja, es gibt ja Leute, die stellen Fotoapparate in Vitrinen, nehmen sie hin und wieder zum Abstauben heraus und stellen sie dann wieder in die Vitrine. Wenn diese Geräte wertvoll sind, ist Angst vor Einbrechern angesagt. Ein Teil der Vitrinenleute, mit Angst vor Einbrechern und ausgerüstet mit Alarmanlagen, gehört zu den Sammlern: ein erstaunlicher Menschenschlag. Ein bestimmter Fotoapparat muss her, weil er in einer Reihe fehlt. Alles, was nicht vollständig ist, hat einen Defekt im wahren Sinne des Wortes: Beim Defekt muss etwas fehlen, sonst wäre es kein Defekt. Also muss der Defekt behoben werden. Ist er dann behoben, regt sich leichte Enttäuschung: "Wie war das doch eigentlich schön, als ich diese Balda von 1937 noch nicht hatte! Aber nein doch, ich hab sie ja jetzt!“ Und der Sammler hat einen großen Vorrat an ungestillten Sehnsüchten. Und ist eine (enttäuschend) gestillt, tobt die nächste umso heftiger: "Die Ernemann von 1924 fehlt!" Und einer, der auch noch Quelle, Porst und Neckermann sammelt, hat viel zu tun. Die Jagd nach all diesen Fotoapparaten ist aufregend. Der Fotoapparatesammler führt in Wirklichkeit das Dasein eines Abenteurers. Da er Jäger, Sammler und Held in einer Person ist, müssten ihm die Frauen zujubeln. Sie tun das aber nicht. Wieso? Weil Vitrinen voll mit Neckermann, Porst und Quelle nicht sexy sind. Und Vitrinen voller Leicas und Hasselblad? Die sind zwar sexy, aber auch nicht so. Was soll der ganze Sex, wenn er sich auf Fotoapparate richtet?

Dann gibt es Leute, für die sind Fotoapparate Spielzeug. Diese Leute sind auch nicht besser. Ich gehöre dazu. Es kann mir passieren, dass ich einen Fotoapparat vor mir aufbaue, ihn rundherum betrachte, aufklappe, zuklappe, alles an ihm ausprobiere, an ihm rieche, in der Bedienungsanleitung lese, hin und wieder "ha!" rufe, alles mögliche im Sucher anvisiere, die Linse poliere – natürlich vorsichtig wegen der berüchtigten Putzspuren –, ihn mit einer anderen Kamera fotografiere (der fotografierte Fotoapparat ist ein eigenes Kapitel), das Baujahr herausfinden will, im Internet zu suchen anfange, woanders hängenbleibe, vergesse den Fotoapparat aufzuräumen, oder mir vornehme, genau diesen Fotoapparat morgen auszuführen und dafür schon mal den Film aus dem Kühlschrank zu holen, dabei merke, dass ich eigentlich hungrig bin, den Film irgendwo liegenlasse, weil das Telefon klingelt, an meinen unaufgeräumten Schreibtisch zurückkehre, die Kamera von vorgestern sehe, mit der ich eine Stunde lang gespielt hatte, und dann denke: die muss ich eigentlich morgen ausführen und nicht die andere, oder alle beide? Und wo habe ich den Film hingelegt als das Telefon klingelte? Und brauche ich tatsächlich so viel Spielzeug? Mein Frau sagt zu recht, ich solle nicht so viel spielen, denn schließlich gibt 's ja noch den Ernst des Lebens. – Und dann verkaufe ich tatsächlich wieder fünf Spielzeuge, aber schon während des Verkaufens (bei Ebay, wo sonst?!), habe ich sechs neue Spielzeuge entdeckt, die ich eigentlich ausprobieren müsste. Denn da habe ich etwas von einem unglaublich guten Objektiv gelesen, das diese Konica von 1975 gehabt haben soll, und zack: schon habe ich für 25 Euro genau eine solche mit einem solchen Objektiv ersteigert und freue mich darauf, diesen Fotoapparat demnächst vor mir aufzubauen und ihn gründlich zu besichtigen und natürlich sofort einen Film einzulegen, um damit spazieren zu gehen. Und dann taucht diese alte Zeiss-Nettar von 1953 aus dem Untergrund des Schreibtischs hervor und verlangt energisch von mir, einen Rollfilm einzulegen, denn mit genau dieser Flohmarktkamera, die ich für gut 5 Euro verkaufen könnte, habe ich einmal an einer Baustelle ein Foto gemacht, das zu meinen besten Fotos gehört, denn dieses unscheinbare dreilinsige Objektiv mit Schärfeeinstellung an der Frontlinse und Lichtstärke 1: 6,3 (eigentlich eine "Lichtschwäche") vermag Unglaubliches: das Foto von der Baugrube läßt sich unendlich vergrößern und wird umso schöner, je größer es wird. Für wieviel Geld würde ich diese Nettar hergeben? Sagen wir einmal für 50 Euro; aber am nächsten Tag würde ich mir für 5 Euro wieder eine solche kaufen. – Es gibt das Lieblingsspielzeug, das ich nicht weggeben möchte, und Durchlaufspielzeug, mit dem ich eine Weile spiele und dann die Lust daran verliere. So vertue ich Zeit und Geld.

Ich bin nicht viel besser als dieser Sammler, denn inzwischen liegen bei mir gut dreißig Fotoapparate herum. Vielleicht bin ich ein wenig harmloser, aber dafür spielzeugbescheuert. Eines ist sicher: das Spielen mit Kameras ist zwar entspannend und ich drifte ab, aber ich spiele dann am meisten mit Kameras, wenn ich an keinem Fotoprojekt arbeite. Zwar arbeite ich immer an Fotoprojekten (es sind seit Jahren zwei: Bäume und Fußgänger), aber die schöpferischen Pausen sind lange. Nichts lässt sich erzwingen. Obwohl es mir vollkommen klar ist: die Einfälle und guten Fotos kommen nur dann, wenn ich nicht mit Fotoapparaten spiele, sondern mit ihnen fotografiere, nämlich das mit ihnen tue, wofür sie gemacht sind. Aber Arbeiten macht nicht immer Spaß, und dann wird eben gespielt.

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